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Friedolin

Es ist Sonntagmorgen. Das Telefon klingelt.
Martina öffnet die Augen. Noch verschlafen und etwas verwundert über den ungewöhnlich frühen Anruf, es ist gerade 6.11 Uhr, wälzt sie sich Richtung Nachttisch und nimmt den Hörer ab.
„Guten Morgen, ich bin es“, dringt an ihr Ohr.
Ihr kommt die Frauenstimme zwar bekannt vor, doch im Augenblick will ihr einfach nicht einfallen
, wer da spricht.
Gähnend fragt sie nach: „Wäär ist denn ich?“
„Hier ist Anne! Nun haben wir monatelang nichts voneinander gehört. Ich möchte mich gern wieder mit Dir vertragen und Dich heute Nachmittag zum Kaffee einladen. Wie wäre es so gegen drei?“
„Ach, Anne…, Duuu bist das. Schön, dass Du Dich meldest, auch wenn Du mich so eben unsanft aus dem Reich der Träume gerissen hast.
Ich wollte schon längst mal mit Dir schwatzen, wegen der Sache vergangenen Herbst. Tut mir leid, dass ich Dir damals den Konrad ausgespannt habe, aber als ich den attraktiven Mann sah, da konnte ich nicht anders.
Ja, heute Nachmittag passt es mir gut. Wohnst Du noch in der schönen, alten Villa mit den
Erkern?“
„Ja, das tue ich“, antwortet Anne.
Martina quält sich aus dem Bett und geht, das Kabel hinter sich herschleifend, ins Wohnzimmer.
„Gut, dann komme ich zu Dir. Allerdings ist mein Auto in der Werkstatt und mir bleibt nichts anderes übrig, als die weite Strecke zu Fuß zu gehen, doch das werde ich verschmerzen, Hauptsache Du hast mir verziehen.“
Diesmal ist es Anne die eine krächzende, männliche Stimme aus dem Hörer dringen hört: „Der Wagen ist in Arsch, hässliches Regenwetter heute.“
„Wer redet denn da im Hintergrund?“, erkundigt sie sich neugierig.
„Das ist nur mein Graupapagei, der kann sprechen!“
„Ah, einen Vogel hast Du. Ich beherberge momentan auch ein Haustier, ein eher gewöhnungsbe-dürftiges. Du wirst es dann sehen! Schon heute früh habe ich ihm eine Fliege in seinen großen Futterplatz getan.“
Martina wundert sich, eine Fliege und großer Futterplatz? Sie tippt auf ein Reptil, vielleicht ein Leguan, ein Gecko oder ein Frosch. Gott sei Dank ist es keine Schlange, denn davor fürchtet sie sich enorm.
„Ok, bis dann. Ich freue mich!“, meint sie noch kurz, bevor sie auflegt.

 

Am Nachmittag sitzen die beiden Frauen gemütlich nebeneinander am Tisch, plaudern über alte Zeiten, lassen sich den Kuchen schmecken und trinken Kaffee. Martina ist so in das Gespräch vertieft, dass sie jeglichen Gedanken an das ungewöhnliche Haustier vergessen hat.
Über die Tischkante an ihrer Seite tasten plötzlich zwei lange, dünne Beinchen,...... jetzt sind es sechs, jetzt …...
„Oh…, Friedolin…, da bist Du ja!“, tönt Anne erfreut.
Abrupt springt Martina in die Höhe, als habe man ihr mit Metallstricknadeln in die Pobacken gestochen. Unversehens schnappt sie ihre Handtasche und ist binnen weniger Sekunden verschwunden. Man hört nur noch die Wohnungstür ins Schloss fallen.
Ihre Jacke und den Schirm hat sie vergessen, obwohl draußen unwetterartige Regengüsse niederprasseln.
Anne sagt grinsend: „Es ist verblüffend welche Wirkung so eine 5 cm große Winkelspinne haben kann, auch späte Rache ist so herrlich zuckersüß!“

© Renate Krug


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